Der Reisebus

Kleiner Exkurs

Ein für mich passendes Bild für den Menschen ist der innere Reisebus:
Jeder Mensch ist auf seiner eigenen Lebensreise ein Produkt seiner Erlebnisse und Erfahrungen. Im Laufe seines Lebens hat jeder gelernt, in seiner Umwelt zu überleben.
Dabei entwickelt jeder Mensch Überlebensstrategien oder Muster, die er in neuen Herausforderungen wieder anwendet. Die erfolgreichsten Strategien sind feste Teile unserer Persönlichkeit, die allerdings eine manchmal eingeschränkte Sicht auf die Welt haben. Diese Teile oder Seiten kann man sich wie eine innere Familie oder ein inneres Team vorstellen. Jede hat sozusagen einen ganz eigenen Auftrag, der aus einer bestimmten Zeit und Situation stammt.
Einige versuchen, uns vor Überforderung oder Angriffen zu schützen. Einige sind ganz furchtbar angetrieben, weil sie glauben, ein Mensch ist nur durch Leistung etwas wert. Einige sind sehr klein und zart, weil sie ganz früh im Leben entstanden sind. Es sind unsere inneren Kinder, die manchmal sehr bedürftig sind, manchmal aber auch sehr viel Power und auch Zerstörungskraft in sich tragen. Einige sind unsere inneren Kritiker, denen wir es nie gut genug machen können.
Der hypnosystemische Pionier Gunther Schmidt nennt sie „Botschafter von Bedürfnissen“, oder sagt flapsig: „jeder von uns ist ein ganzer Verein“. Jeder hat – mal mehr mal weniger – unterschiedliche Stimmen in sich, die in bestimmten Situationen sprechen oder das Kommando über die ganze Person übernehmen wollen. Manchmal passt das, dann ist es prima. Manchmal gibt es innerlich Konflikte, weil verschiedene Seiten unterschiedliche Lösungen für ein Problem mit aller Vehemenz vertreten. (Dann wäre eine Stunde „Zwickmühlentango“ vielleicht hilfreich ;-))
Ich stell mir das vor, als habe jeder von uns einen Reisebus, in dem eine sehr bunte Mischung an Leuten sitzt, die gemeinsam auf Lebensreise sind. Manche mögen einander, andere können einander nicht ausstehen. Und permanent gibt es Streit, wer auf den Fahrersitz darf.
Kommunikation gibt es also nicht nur zwischen Menschen, sondern auch in jedem von uns in der eigenen Innenwelt. Und manchmal verwechseln wir uns als ganze Menschen mit den einzelnen Seiten oder dem, was diese Seiten denken.
In der Supervision oder Beratung kann es darum gehen, diese Innenwelt besser kennen zu lernen und zu verstehen, wo die Konfliktpunkte liegen. Wann agieren die inneren Beschützer, wann die Macher, wann die Kritiker? Und wen möchte ich eigentlich als Reisebusbesitzer (wir sind ja alle im selben Körper unterwegs) auf den Fahrersitz lassen?
Und gibt es eigentlich innerlich einen Reiseführer, der weiß, wohin der Bus fahren soll? Wie muss dieser Reiseführer sein, damit alle Seiten ihn als Chef akzeptieren und gleichzeitig immer noch ihre Bedürfnisbotschaft weitergeben können?